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Gewaltige Zuwächse im Internet-Handel – Wer ist der wahre Schuldige?

Warum steigt in jüngster Zeit der Anteil des Verkaufs im Internet so gewaltig an? Die Medien berichten derzeit nahezu täglich, dass der Einkauf im Internet enorm zugenommen hat und logischerweise Rekordzahlen zu verzeichnen sind. Nein, mich wundert das nicht.

Wenn ich diesen Sachverhalt kurz analysiere, dann stellt sich ganz schnell heraus, dass der Grund dafür nicht an den Preisangeboten liegt. So viel schon mal vorweg.

Amazon – das große Schreckgespenst im Handel – hat mit Büchern begonnen. Bücher unterliegen einer Preisbindung, das heißt, dass ich den Harry Potter-Schmöker überall zum gleichen Preis bekomme – egal ob beim kleinen Buchhändler um die Ecke oder beim Buchhandel-Filialisten. Natürlich auch bei Amazon. Warum bestellt der Kunde also seine Bücher bei Amazon und Internet-Mitbewerbern wie buecher.de oder anderen? Der Preis ist es nicht. Klar, es ist bequemer: Samstagabend wird auf der Couch am Laptop in aller Ruhe das Buch seiner Wünsche ausgewählt und bestellt. Ein paar Tage später bringt es der Paketdienst an die Haustür.

Mittlerweile hat Amazon sein Sortiment erweitert – gewaltig erweitert. Kaum eine Handelsbranche ist davon nicht betroffen. In den meisten Segmenten spielt der Preis mit eine Rolle, aber ich behaupte: nicht ausschließlich!

Die Bequemlichkeit ist ein starkes Argument. Will ich mir heute im stationären Handel z. B. einen Elektroartikel kaufen, dann muss ich losfahren, einen Parkplatz suchen, Parkplatzgebühren bezahlen, unter Umständen noch eine Zeit lang laufen, um ins Geschäft zu kommen. Nach dem Einkauf wieder zurück zum Auto und ab nach Hause. Die Zeit im Geschäft beziehe ich jetzt nicht mit hinein, denn am PC muss ich auch nach dem Artikel suchen und den Kauf abwickeln. Aber unabhängig von den Spritkosten und Parkplatzgebühren geht doch eine Menge Zeit für diesen Einkauf drauf. Bequemer ist es da, auf der Couch sitzend den Einkauf zu tätigen.

Wenn ich in den vergangenen Wochen mit Vertretern des Handels über dieses Thema diskutierte, dann wurde ich spätestens an dieser Stelle unterbrochen, denn jetzt ging der Handel in die Offensive: Ja, aber der Einkauf im Internet kostet vor Ort Arbeitsplätze und Amazon, mit Sitz in Luxemburg, zahlt weder hier am Standort Steuern, noch in der Bundesrepublik überhaupt. Dem kann ich nicht widersprechen. Doch was interessiert es den gemeinen Bürger, der seinen Geldbeutel und sein Bankkonto im Visier hat?

Und dennoch gibt es viele Menschen, die auch gern etwas mehr für einen Artikel zahlen, wenn der Service passt: der Umgang mit dem Kunden – also Freundlichkeit, Beratung und dergleichen. Jetzt sind wir an dem Punkt angelangt, wo es bei uns gewaltig mangelt. Den Schulnoten entsprechend bekommen heute viel Geschäfte nicht nur ein Mangelhaft, sondern ein Ungenügend.

„Deutschland – die Servicewüste!“ Ich weiß nicht, wie viele Jahre mich diese Aussage schon begleitet. Zu Recht! „Der Kunde ist König!“ – Aber nicht bei uns! Nur selten trifft man noch eine Verkäuferin „der alten Schule“ an. Und genau da liegt der Hund begraben. Als Kind erinnere ich mich noch, wenn ich mit meinen Eltern zum Schuhe kaufen ging, da gab es eine Verkäuferin, die probierte mit mir den Schuh ganz genau. „Wo ist die große Zehe? Drückt es vorne, drückt es hinten? Geh mal den Teppich entlang!“ Das war noch Beratung. Heute: Fehlanzeige. Die Verkäuferinnen in den Shops der Schuhfilialisten sind nur noch Regaleinräumerinnen – mehr nicht!

Bei den Filialisten in der Textilbranche sieht es nicht anders aus: Ware kommt, aufbügeln, einhängen ins Regal, abholen von den Umkleidekabinen, einhängen ins Regal, kassieren in die Plastiktüte hineinstopfen. Dann gibt es tatsächlich im südöstlichen Bayern (weitab von jeder mittelgroßen Stadt!) ein Bekleidungshaus, welches ich betretet und die Verkäuferin bereits weiß, welche Größe ich trage und was zu meinem Typ passt. Zufall? Nein! Dort wird das Personal auch noch entsprechend ausgebildet und – was noch wichtiger ist – weitergebildet und gefördert. Dort wird ihnen klargemacht, dass der Kunde derjenige ist, der dafür sorgt, dass am Monatsende die Gehaltsüberweisung erfolgt. Ist der Kunde zufrieden, dann kauft er ein, macht also Umsatz und kommt wieder.

Heute wieder erlebt: Ich betrete einen Elektro-Markt eines großen Konzerns. Glücklicherweise bin ich „nur“ auf der Suche nach einer Tintenpatrone für meinen Drucker. Ich weiß was ich will und weiß in etwa, wo ich nachschauen muss. Vor einiger Zeit hatte ich dort ein bestimmtes Kleingerät gesucht, war unter aller Kanone beraten worden und musste vom Personal an der Infostelle, wo ich meinen Unmut äußerte, auch noch hören: „Ja, ist schon recht. Wiedersehen“. Heute weiß ich, warum ich dieses Geschäft nur im Notfall betrete: Da standen heute drei Mitarbeiter zusammen und diskutierten über ihr Privatleben. Unweit davon warteten Kunden auf eine Beratung und in der beratungsintensiven Fernsehabteilung war ebenfalls weit und breit kein Personal zu sehen.

Wenn gerade in diesen Wochen dem Kunden der Schwarze Peter zugeschoben wird, er würde mit seinem Einkauf im Internet dem stationären Handel das Wasser (Geld) abgraben, dann sollte sich der Handel wirklich selber an der Nase packen! Umfragen zeigen immer wieder, wie wichtig Kunden die Beratung und der Service ist. Ja, sie wären auch bereit, etwas tiefer in die Tasche zu greifen, wenn sie „als Kunde König wären“ – Warum soll ich als Kunde bei Null Beratung und Null Service mehr bezahlen?

Händler, die heute wieder bereit sind, den Kunden als Kunden = Bezahler ihres Einkommens anzuerkennen und dafür sorgen, dass dieser auch „zuvorkommend“ behandelt wird, dem kann der Internet-Handel nicht gefährlich werden. Ich bin aber überzeugt davon, dass viele Geschäfte auf der Strecke bleiben, weil sie es a) nicht gelernt haben, b) es nicht verstehen und c) es nicht wahr haben wollen.

Wer meiner Auffassung nach im Handel bestehen will, muss sich beim Kunden bewähren. Das Sortiment allein reicht nicht aus. Qualifiziertes Personal (und dafür ist in erster Linie das Unternehmen zuständig), kundenorientierte Beratung und ein Service, der den Einkauf zu einer bleibenden Erinnerung werden lässt, haben Zukunft. Alle anderen können sich heute schon verabschieden.

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